Segeberg bleibt bunt:
Demonstration für Demokratie, Toleranz und Menschenrechte
Hunderte gingen friedlich auf die Straße um ein Zeichen zu setzen.
Kirchenkreis und Kirchengemeinde waren dabei.
Hier finden Sie die Reden von Propst Dr. Daniel Havemann und Pastorin Elke Hoffmann
Dr. Daniel Havemann, Propst des Ev.-Luth. Kirchenkreises Plön-Segeberg:
"Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
ich stehe hier für die christlichen Kirchen der Stadt. Vielen Dank, dass Sie heute hier sind! Ich bin begeistert, wie viele wir sind – und wie bunt!
Wir sind auf der Straße für eine bunte Gesellschaft. Heute, am 9. November. Am Tag der Reichsprogromnacht – und am Tag des Mauerfalls. An einem Tag großer Schuld unseres Volkes – und an einem Tag großer Versöhnung.
Wir demonstrieren heute für eine bunte Gesellschaft. Ich bin in der DDR aufgewachsen – in einer Welt, wo alle gleich aussehen sollten. Schon alle Schüler wurden in Uniformen gesteckt – mit gleichem Hemd und gleichem Halstuch. Wer da nicht mitmachte – wie ich damals in meinem buntgestreiften Pullover – der hatte es schwer – den durfte man nicht sehen > der musste ganz nach hinten!
Vor 30 Jahren sind wir auf die Straßen gegangen, weil die Menschen das nicht mehr wollten. Weil wir eine bunte Welt wollten – ohne Uniformität. Weil wir eine offene Welt wollten– ohne Zäune und Mauern.
Ich weiß, dass heute viele Menschen Angst haben vor einer offenen Gesellschaft – weil man nicht weiß, wie sich diese Welt dann verändert. Wir hatten damals auch Angst. Aber wir hatten noch mehr Mut. Wir wollten das wagen - mit der offenen Welt. Und deshalb gingen wir auf die Straße. Heute vor 30 Jahren fiel die Mauer – weil der Mut größer war als die Angst.
Wissen Sie, was mich bis heute bewegt? Wie unfassbar herzlich wir empfangen wurden! Wir waren immer dann gut, wenn wir andere mit offenen Armen empfangen haben.
Ich weiß, dass vieles andere passiert ist seitdem. Aber anknüpfen müssen wir an das, was uns stark gemacht hat. Deshalb lasst uns demonstrieren an diesem Tag – und lasst uns feiern! Lasst uns ein Land feiern, dass es geschafft hat, Zäune einzureißen. Lasst uns stolz sein auf ein Land, das Fremde als Schwestern und Brüder in die Arme geschlossen hat.
Lasst uns dankbar sein, dass unser Land nach all dem Schrecken, der von ihm ausging, Zeichen der Versöhnung in die Welt senden konnte.
Wir brauchen einander – egal, wo wir herkommen. Hier in der Stadt und überall im Land. So verschieden wir glauben, so unterschiedlich wir sind. Eine Einheitsfarbe wird am Ende braun – egal, wie blau sie sich anstreicht. Wer Angst vor anderen Farben schürt, der steuert das Land in die Diktatur. Braun haben wir gehabt, Diktatur haben wir gehabt – und wir sind hier, weil wir das nie wieder haben wollen.
Deutschland hat gezeigt, dass es das besser kann: Heute vor 30 Jahren. Genau so soll unser Land bleiben. Genau so soll unsere Stadt bleiben: offen und bunt. Vielen Dank!"
Elke Hoffmann, Pastorin der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Segeberg:
"Ich stehe heute hier als Pastorin der und für die Evangelischen Kirchengemeinde Segeberg.
Wir demonstrieren heute und setzen ein Zeichen gegen die besorgniserregende anwachsende rechte Gewalt und anwachsende Gewaltbereitschaft einzelner gegenüber Bürgern und Bürgerinnen der Stadt.
Aber: Wir sind mehr. Segeberg bleibt bunt!
Als Kirche, Kirchengemeinde und als Christinnen und Christen bekennen wir Farbe.
Und wir tun das auf der Grundlage unseres Glaubens.
In der Bibel steht, in einem Brief des Paulus an die Gemeinde in Galatien:
„Hier ist nicht jüdisch noch griechisch, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht männlich noch weiblich; denn ihr seid allesamt eins in Christus Jesus“ (Gal 3,28) – Dieses (finde ich) wunderbare Bild steht gegen alle Verächtlichmachung von dem je anderen Geschlecht und von Menschen anderer sexueller Orientierung, anderer Klassen oder anderer ethnischer Zugehörigkeit.
Alle sind miteinander verbunden und – das ist entscheidend – ihre Verschiedenheit und Vielfalt wird nicht einfach aufgehoben, sondern ist sozusagen so etwas wie ein Schatz.
Das schließt alle Hassäußerungen aus, wischt aber auch Unterschiede und Konflikte nicht einfach weg, sondern lenkt stattdessen den Blick auf gemeinsame Entwicklung und Lebensgestaltung.
Es geht um ein Leben in einer Gemeinde, einer Stadt, einem Land in Vielfalt und Verschiedenheit.
Segeberg bleibt bunt.
Schon ganz am Anfang der Bibel, im Schöpfungsbericht, wird davon gesprochen, dass alle Menschen gleichermaßen von Gott geschaffen sind.
D.h., wir sind von Gott gewollt: Egal welches Geschlecht wir haben oder welche Hautfarbe, welcher Religion oder Nation wir angehören.
Mit unseren Stärken und Schwächen, Fähigkeiten und Fehlern.
Politisch übersetzt heißt das: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Die Verfasser*innen unseres Grundgesetzes haben diesen Satz in den Mittelpunkt gestellt und alle anderen Werte, Garantien und Pflichten davon abgeleitet.
„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“, heißt es dort.
Die rechtsextremen Übergriffe in der letzten Zeit führen zu Verunsicherung und Angst.
Es gibt inzwischen immer mehr Menschen, die sich nicht mehr alleine auf die Straße trauen. Die Angst haben, die Scheiben ihres Geschäftes könnten eingeworfen werden, wenn sie sich offen für ein buntes Segeberg bekennen. Die Plakate wieder abgenommen haben, weil sie bedroht wurden.
Einige hier sind selbst gestalkt oder angegriffen worden.
Ich finde, diese Angst ist sehr ernst zu nehmen.
Sie zeigt, welchen Einfluss eine kleine rechtsextreme Gruppe auf eine ganze Stadt bekommen kann.
Mich lassen die Rechtsextremen an die Dementoren in den Harry-Potter-Romanen denken, die denjenigen, mit denen sie in Berührung kommen, die Lebensfreude entziehen und sie als leere Hüllen zurücklassen.
Die mächtigste Waffe von Neonazis ist Angstmache, ist Einschüchterung.
Die, die Angst haben, diejenigen, die bedroht und angegriffenen werden brauchen spürbare Solidarität. Von Freund*innen, in der Nachbarschaft, von der Kommune, von Politik, Kirche, Religionsgemeinschaften, Sozialverbänden, Medien und Kultur.
Und deshalb ist es gut, dass wir heute so viele sind.
Wir sind mehr!
Ich zitiere noch einmal die Bibel. Paulus schreibt:
„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft der Liebe und der Besonnenheit.“
Paulus spricht mit diesem Satz seinem Täufling Timotheus Mut zu. Dieser wird ebenso wie Paulus selbst wegen seines Glaubens diskriminiert und verfolgt.
Vertrauen in Gott verleiht Mut, Kraft und Liebe, schreibt der Paulus.
Ich wünsche uns allen diesen Mut. Füreinander und miteinander da zu sein. Farbe zu bekennen.
Ich wünsche uns Besonnenheit – im Umgang mit rechten Parolen, Beleidigungen und Bedrohung.
Ich wünsche uns Liebe, weil sie die Grundlage von Menschenfreundlichkeit und Toleranz ist.
Wir sind mehr! Segeberg bleibt bunt."